GOSAU. daß der Name >Gosauschmied< längst nur mehr eine Autobusstation kennzeichnet, ist am Abend eines sechsten Dezember beim Gosauer Kirchenwirt schnell vergessen - weißbestäubt kommen sie zu sechst aus dem Schnee- treiben herein, von Kopf bis Fuß in langhaarige oder lockige Wolf-im-Schafspelz-Felle gekleidet, als wären die ihnen gewachsen; zorn rot im Gesicht von den ro- ten Larven, rasseln sie mit ihren Kuh ketten, führen sich wie Bestien auf, die, frisch der Bergriesenwelt ent- sprungen, noch hinter sich herschleppen, wovon sie freigekommen sind. unheimlich, weil vor erwachse- nen Fremden so ernsthaft simuliert, die kaum be- herrsch bare Angriffslust, die auch Angst wäre vor dem geschlossenen Raum und der Überzahl an Men- schen: mit Drohgebärden springen sie herum, wie wenn sie sofort auf jemanden losgehen würden, von Fieberanfällen geschüttelt, weichen sie ein paar Sprünge zurück, lassen umso eifriger vor sich her ihre Weidenruten tanzen - welche wird als eine Wünschel- rute wen als das richtige Opfer aufspüren; wer wird, um nicht verdroschen zu werden, über Rutenge- schlängel, kunstvoll erzeugt wie Peitschenknallen, hin- wegzuspringen haben? unheimlicher noch ihr Katzen- gepfauche und Katzengeschrei, klagend in die Höhe gezogene Laute, auch weil sie dazwischen liebesbe- dürftig schnurren und mit ihren Schwänzen freund- lich wedeln oder als Schafe im Wolfspelz Frieden ge- ben. entgegen der Erfahrung, daß man von Geistesgestör- ten oder rabiaten Betrunkenen unbehelligt bleibt, so- fern man jeden Augenkontakt meidet und dadurch nicht da ist, lassen sie mich in Ruhe, weil ich jeden, der näher kommt, anschaue: nicht fest wie ein Dompteur, das könnte sie herziehen, bloß aufmerksam wie für die Darbietungen eines Kindes - wer sich aber verlegen abkehrt oder nicht aufschaut, bekommt eins überge- zogen, noch schnell auch eins, wer dazu nicht lacht. echt ist ihr Geschwanke, als sie dann, wohl schon den ganzen Nachmittag auf der Wirtshaus-Tourrals Kum- paneeinander umarmend und rempelnd, die Schank umstehen - auch der Kirchenwirt läßt sich nicht lum- pen, füllt ihre Schnapsgläser nach, sooft sie miauen oder pfauchen, als erstes dem, der mit den Ketten ge- gen die Schankwand schlägt. bedrohlich nehmen sie sich aus als angetrunkene Mas- kierte, auch wegen der Menschenähnlichkeit ihrer Tierteufel, und je menschlicher sie Mischgestalten im Trinken werden, an den aus dem Vormund quellen- den Hängezungen vorbei auch Zigaretten sich zufüh- ren und aus Teufelsfratzen Rauch ausstoßen, desto ,tierhafter wird das Menschliche, das sich tierisch ver- kleidet hervorwagt: ein Gast in Jagdtracht, der nicht Respektabstand hält, sondern genau wie sie an der Schank einen Schnaps trinken möchte und einen von ihnen vorlaut identifiziert, bekomml dies zu spüren, ein gleich frecher nicht - wie Diktatoren haben Be- stien Launen, nicht aber Humor, und was als ein menschlicher Zug sich ausnimmt, ist bloß momentane Trägheit. eine >Hetz< ist der Brauch, aber da niemand Fluchtbewegungen macht und auch kein junges Mäd- chen da ist, bleibt der Doppelsinn des Wortes verbor- gen. gesichtslose Bauernburschen, deren reglementierte Aggressivität im Schutz des wie für Kinder auch für sie selber aufregenden Krampuskostüms man aber weit mehr der Kulturwelt zugehörig empfindet, wie- sehr sie Laienspieler sich auch von ihren Rollen mitrei- ßen lassen, als etwa die gesetzten Einheimischen, die sonntags mit Riesengamsbärten stolz einhergehen, ein jeder ein Obergams, und welch ein ungeschmink- tes Bild unserer Naturnatur erst jene, auch Städter, die im Streit an sogleich kämpfende Hirsche gemah- nen, indem sie zu ihren Streitesworten den Kopf sen- ken (und wenn dies nur einer von beiden tut, wird er den ihn attackierenden Hund sofort mit seinem Ge- weih ausheben und hinter sich werfen, gegen die Wirtshauswand)
Dieser Text wurde mit Einverständnis des Schriftstellers aus folgendem Buch entnommen:
Julian Schutting Wasserfarben
Residenz Verlag ISBN-3-7017-0679-4
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